Text für einen Katalog und Presse von Ivo Strelow für die Ausstellung AGIPOP
Ausstellung AGIPOP von Peter Berresheim
Die Vita weist kein Geburtsdatum auf . Damit macht sich der Künstler zeitlos . Er zeigt in seinem Werk sowohl Züge eines altägyptischen Schreibers , als auch diejenigen des gesellschaftskritischen französischen Karikaturisten Daumier auf . In Ägypten schafft man den Übergang von der Bildschrift , wie dies auch in China oder im vorkolumbianischen Amerika der Fall ist , hin zur Glyphe , die nicht nur einen Klangwert besitzt . Aus einem Stierkopf entwickelt sich das A , was man übrigens heute noch an den Sternen des Sternbildes Stier nachvollziehen kann , aus einer Schlange das N und so weiter .
Künftig wird Sprache festgehalten als Sprache der Bibel . als Sprache Homers oder Caesars. Bei Peter Berresheims Titelbild AGIPOP werden die Buchstaben so eng aneinander gesprüht, dass das Ensemble der Buchstaben die Gestalt einer Glyphe annimmt . Zu der graphischen Gestalt tritt gleichberechtigt der von Peter Berresheim aufgeschriebene kurze Text AGIPOP , der in seiner Frage- und Antwortform ( was ist?…was will?…was unterscheidet?…wie lange?… )an Luthers kleinen Katechismus erinnert . Dieser Text kumuliert in dem fett und gesperrt gedruckten Satz „AGIPOP setzt sich gegen Unterdrückung , Gleichgültigkeit , Oberflächlichkeit und Verdummung ein“ und lädt die Sprühung AGIPOP magisch mit einer Bedeutung , mit einem Sinn auf . AGIPOP ist der Name , den Peter Berresheim seiner Kunst gibt im Sinne einer Definition , eines Gattungsnamens , Markenzeichens , und einer Standortbestimmung . AGIPOP , das ist der Titel für vier Jahrzehnte Schaffen und für das , was in der Zukunft noch geschaffen werden will .
Beim Blick auf das Werk Daumiers ( 1808 – 1879 ) , der in satirischen Blättern veröffentlichte , begibt man sich auf eine Zeitreise in die damalige Epoche . Für eine vertiefte Betrachtung ist es gleichwohl nötig , sich eingehender mit dieser Zeit zu beschäftigen : Wie war das damals politisch , geschichtlich , gesellschaftlich , wissenschaftlich , technologisch und so weiter ? Gleiches gilt für das frühe Werk Berresheims . Es wird zum Dokument der betreffenden Zeit , und weil in unserer Zeit die Veränderungen in den oben aufgezählten Bereichen Politik , Gesellschaft, Wissenschaft , Technologie sehr viel schneller vonstatten gehen , ist es wiederum nötig , sich eingehender mit dieser Zeit zu beschäftigen . Und dabei ist es doch schon mühsam , überhaupt die Jetztzeit zu durchblicken , ja , materiell über die Runden zu kommen . Für letzteres stehen die Werke „Dauerwunsch“ (2012 ) ; der Text „Leben von eigner Hände Arbeit“ wird als Prägung reliefartig umgesetzt , und Künstler- Pech ( 2009 ) das an einem langen Arm fotografierte Selbstbild das Künstlers mit Dreitagebart , Augenringen , gefurchter Stirn und Zottelhaar wird kombiniert mit dem Schriftzug „Künstler/Innen leben leider nicht von Ausstellungen“ . Weitere drei Werke aus dem Zeitraum 2008/2009 greifen ebenfalls die Kombination aus Selbstbild und gestaltetem Schriftzug auf . Es werden damit die gesellschaftlichen Missstände „Krieg“ , „Verdummung“ und „Gier“ gegeißelt .
Überhaupt sind die ausgestellten Bilder unterschiedlich stark textbehaftet . Bei den Bildern Terrorismusdiskussion und Public Viewing taucht der Text nur im Namen der Bilder auf , der sich mit dem Bildinhalt reibt . Es ist eben gerade keine Diskussion , wenn die dargestellten Personen krampfhaft den Mund verschließen , und dennoch konnte man im Kontext der damaligen Zeit dafür zwei Akten angelegt bekommen : Bei der Stasi und beim Verfassungsschutz . Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei . Heute kann jeder seine Stasi- Akte einsehen und einige Akten des Verfassungsschutzes sind bereits geschreddert worden . Die drei frühen Bilder aus der Zeit des Punk – Protestes 1983 weisen vitale und freche Einzelpersonen in provozierenden Posen wie „pinkeln“ und „Zunge rausstrecken“ auf , wobei der in zarter Handschrift geschriebene darunter stehende Text Teil des Bildes ist , zum Bild dazugehört . “ Ick piss uff eure Estetikk“ will sich anlegen und provozieren . „Wie war das damals , Herr Berresheim?“ frage ich mich als Betrachter dreißig Jahre später .
Jedenfalls stellen die Mauerbilder ( 2009 ) einen Wendepunkt in der „Vita“ , im Leben des Peter Berresheim dar , tauchen hier doch Elemente des frühen wilden gemeinsam mit Motiven des aktuellen , milden Künstlers auf . Erstaunlicherweise ist der aktuelle milde Peter Berresheim genauso verstörend wie der alte : ich kann zwar wohl gegen den Krieg , gegen Fußballkultur oder gegen KZ sein , alles OK . Aber wie sagte schon Schiller ? Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben , wenn es seinem bösen Nachbar nicht gefällt ! Wenn der kleine Peter Berresheim unserem Dichterfürsten entgegenhält „Frieden ist machbar lieber Nachbar !“ , dann ist das schon mutig- mild .
Zum Abschluss möchte ich den Versuch einer Erklärung wagen , wie sich Peter Berresheim diese Position erarbeitet haben könnte : An einer Stelle der Mauerbilder finde ich die Sprühparole „Gegen den Strom schwimmen“ (nach oben gestelltes Schriftbild Schwimmen). Wer im Verlaufe seiner Vita beständig gegen den Strom schwimmt , erarbeitet sich dadurch eine Palette an Ausdrucksmöglichkeiten , die ihm erlauben , nicht nur in den vertrauten Wässern der ländlichen Vechte , der weltstädtischen Spree , sondern darüber hinaus im klaren Hochgebirgsbach und im See Genezareth zu schwimmen . Wie heißt es noch im Tao Te King ? Weiches überwindet Hartes , Wasser formt Stein . Und hat nicht das Ufer des Sees Genezareth das Wort gehört : „Selig sind die Sanftmütigen … “ Die Wahrheit sucht sich ihren Weg
Ivo Strelow